Das System eines Menschen wird von seinen inneren Teilen (auch Anteil, Stimme, Betrachtungsweise, Gedanke, Gefühlszustand genannt) und ihrem Verhältnis zum Selbst definiert. Richard Schwartz hat bei seiner Arbeit bemerkt, dass sich diese inneren Anteile wie Mitglieder eines Familiensystems verhalten. Einzelne Mitglieder dieser inneren Familie (sog. Teile) können das Selbst kapern beim Versuch, das System (den Menschen) vor unerwünschtem Schmerz zu bewahren. Genauso wie ein Vater seine Tochter kritisiert, wenn sie seiner Meinung zu wenig für die Schule tut. Er möchte sie (und sich) vor dem Schmerz bewahren, dass sie später kein Auskommen hat und «auf der Gosse landet».
Viele Menschen sind mit Teilen wie dem «inneren Kritiker», oder einem beschämten, einem mentalen oder ängstlichen Teil identifiziert und sind fest überzeugt: «Das bin ich, so bin ich halt.» Der erste Schritt in der Arbeit mit IFS besteht darin, sich dieses Vorgangs bewusst zu werden und einen kleinen Abstand zum betroffenen Anteil herzustellen.
Dies geschieht in diesem Fall, indem man lernt, dem inneren Kritiker, dem beschämten oder ängstlichen Anteil mit Neugier und Offenheit zu begegnen. In dieser Begegnung teilt er uns mit, was seine Absichten sind und vor allem seine Ängste, wenn er seine Aufgabe nicht mehr erfüllen würde.
Diese neugierige und offene Zuwendung scheint im ersten Moment absurd, weil es doch gerade diese kritische, beschämte oder ängstliche Stimme ist, die uns ständig in Schwierigkeiten bringt. In der Vergangenheit haben wir wohl versucht, diese Anteile durch Kampf, Ablehnung, positives Denken und vielleicht auch Meditation loszuwerden. Ist dies gelungen? Zum grössten Teil nicht! Dieser offensichtliche Misserfolg macht uns offen dafür, einen anderen Zugang zu versuchen. Wenn wir ohne Vorurteile auf unsere Teile schauen, entdecken wir, dass alle Teile ohne Ausnahme positive Absichten haben. Sie wollen uns immer vor etwas schützen, deshalb werden sie im IFS Beschützerteile genannt.
Auch wenn die Absicht dieser Anteile immer positiv ist, heisst das nicht, dass ihre Auswirkungen nicht katastrophal sein können und es in vielen Systemen auch sind. Umso wichtiger ist es, uns diesen Anteilen endlich zu zuwenden und sie zu heilen.
Andere innere Anteile werden Verbannte genannt. Das sind schützenswerte, meist kindliche Anteile, die durch ihre schmerzhaften, traumatischen, überfordernden Erfahrungen in der Vergangenheit geprägt sind und die in diesen vergangenen Erfahrungen wie eingefroren sind. Beschützerteile tun alles, um das System vor dem Schmerz, den diese Verbannten tragen, zu bewahren.
Verbannte tragen zudem Lasten: Vergangene schmerzhafte Erlebnisse haben dazu geführt, dass sich im Inneren eines Menschen bestimmte, meist unbewusste Überzeugungen über sich und das Leben verfestigt haben. «Ich bin nicht liebenswert», «ich bin nie genug», «ich bin dumm», «das Leben ist ein Kampf», «ich muss mich durchsetzen, sonst werde ich übergangen» sind Beispiele solcher Glaubenssätze. In Verlaufe von IFS-Prozessen erlebt der Klient, wie er sich von diesen Lasten und den damit verbundenen Überzeugungen befreien kann.
Beschützerteile wollen dann vielfach neue erfüllendere Aufgaben übernehmen und dem System (dem Menschen) in einer konstruktiven Weise dienen. Diese Veränderungen sind nachhaltig und wirken sich auf alle Bereiche des Lebens aus. Das Selbst des Klienten wird gestärkt und die Klientin oder der Klient erfährt eine grosse Steigerung ihrer Selbstwirksamkeit und Präsenz.
Mit dem U-Turn bezeichnen wir die Umkehr der Blickrichtung von Aussen nach Innen. Wenn bisher Opferhaltung, Projektionen und Aussenorientierung unsere Grundhaltung war, lernen wir, unseren Blick vom Aussen weg nach Innen zu lenken. Wir erkennen, dass die Welt, die wir sehen und erfahren, vor allem durch unsere innere Haltung geprägt ist. Diese ist vielfach durch das Verschmolzensein mit unseren Beschützerteilen oder den verbannten Anteilen (den verletzlichen inneren Kindern) geprägt. Die Veränderung des Blickwinkels ist zunächst einmal ungewohnt. Gewöhnliche machen wir die äusseren Umstände zum grössten Teil für unsere Gedanken, Gefühle und unsere Reaktionen verantwortlich.
Das heisst nicht, dass Übergriffe, Gewalt, Missbrauch u.Ä. nun plötzlich akzeptabel sind. Wir können gegen Gewalt vorgehen und uns gleichzeitig bewusst sein, dass es um das Recht auf Selbstschutz geht und nicht um Rache oder ein verletztes Ego.
Der IFS Zugang ist auch hervorragend geeignet für den Umgang mit Polarisierungen (Nähe / Distanz, Sparsamkeit / Grosszügigkeit, Sich Sorgen / Sorglosigkeit etc.). Wir hören den Teilen neugierig zu, die sich gegenseitig polarisieren und in vielen Fällen blockieren. Wir lernen ihre Absichten kennen und wovor sie Angst haben. Schon beim offenen Zuhören entsteht ein Entspannung in unserem Inneren, weil die polarisierten Teile merken, dass sie ernst genommen werden. Entscheidungen, die nun getroffen werden, sind viel besser auf unsere innere und äussere Wirklichkeit abgestimmt.
IFS-Zugang in der Partnerschaft (Paartherapie)
Mit IFS nehmen wir das Äussere als Spiegelung des Inneren wahr. Die schmerzhafte Polarisierung, in der Paare gefangen sein können, die Ängste, die Konflikte, die scheinbar angemessenen und gleichzeitig sehr verletzenden Verhaltensweisen, wie Wutausbrüche oder Rückzug, all dies passiert auch im Inneren des einen oder anderen Partners.
Während diese Gleichzeitigkeit der äusseren und inneren Erfahrung am Anfang meist eine Quelle tiefen Schmerzes darstellt, ist sie in Wirklichkeit eine grosse Hilfe. Die Erfahrung, dass das System des Partners, der Partnerin alles versucht, diesen vor Schmerz zu bewahren und es nicht darum geht, den anderen zu verletzen. führt zu einem neuen gegenseitigen Verständnis. Das Erleben von Mitgefühl und Wertschätzung für die innere Familie (die eigene und die des Anderen) ist zentral für das Wiedererwachen der gegenseitigen Liebe.
Beschützende Anteile, die sich aus schmerzhaften Erfahrungen in der Ursprungsfamilie gebildet haben, werden vertrauensvoller. Das Bezeugen der Geschichte und die Entlastung der verbannten (kindlichen) Anteile steht im Zentrum dieser Entwicklung. Es ist nun möglich mehr Gelassenheit anderen Perspektiven gegenüber zu haben. So kann sich z.B. der Zwang, recht haben zu müssen, zurückbilden. Unsere Herzen müssen sich weniger schützen. Offenheit wird als Stärke empfunden. Dann ist Verschiedenheit keine lebensbedrohliche Erfahrung mehr sondern eine Bereicherung in jeder Hinsicht.
Auf dem Weg ist das Selbst oder die innere Weisheit des Klienten der entscheidende Faktor in der Heilung von ungesunden und (selbst-) zerstörerischen Verhaltensweisen und Denkmustern.
Dieses Selbst ist allen Menschen eigen, wir sind damit auf die Welt gekommen. Es ist unverletzbar, immer ganz und hat Qualitäten von Neugier, Klarheit, Ruhe, Selbstvertrauen, Mut, Verbundenheit, Kreativität und Mitgefühl. Ich sehe es als meine Aufgabe, den Klienten dabei zu unterstützen, den Zugang zu seinem Selbst herzustellen und zu verstärken.
* Das Selbst wird in anderen Traditionen die Seele, der Zeuge, der Beobachter, das Nicht-Selbst, die Quelle, der Kern genannt